IVM Performance August 2025

Reifenfreigaben – ein Dauerläufer

Umbereifung am Motorrad

 

Übergrößen, Fabrikatsbindung und alternative Reifendimensionen wurden einer juristischen Überprüfung durch das Verkehrsministerium unterzogen. Die bewährte Praxis der Reifen-Unbedenklichkeitsbescheinigung musste daher neu bewertet werden, meint Christoph Gatzweiler, Ressortleiter Technik beim IVM.

Die Antwort der Juristen war eindeutig: Unbedenklichkeitsbescheinigungen, die durch Fahrzeug- oder Reifenhersteller ausgestellt wurden, passen nicht in den rechtlichen Rahmen der Straßenverkehrs-Zulassungsverordnung (StVZO). Deswegen können diese Herstellerbescheinigungen auch nicht länger als einfache, gesetzeskonforme Legitimation für Fahrzeugumrüstungen dienen.

 

Als Prüfgrundlage dürfen diese Informationen jedoch sinnvollerweise weiterhin herangezogen werden. Die Empfehlungen der Reifen- und Fahrzeughersteller genießen in der Branche und beim Endverbraucher seit langem großes Vertrauen und sind nach wie vor eine wertvolle Orientierung.

Im Falle der sogenannten Fabrikatsbindung, der Vorgabe eines ganz bestimmten Reifenfabrikats der typgenehmigten Dimension durch den Fahrzeughersteller, muss zwischen Motorrädern mit einer nationalen (ABE/EBE) und einer europäischen Betriebserlaubnis (EU-BE/WVTA) unterschieden werden.

 

Die EU erlaubt in ihren technischen Vorschriften keine Fabrikatsbindung, da es nach Ansicht der europäischen Kommission hinreichende Prüfungen gibt, wie beispielsweise die Freigängigkeit der Rad-/Reifenkombination bei maximaler räumlicher Ausdehnung der jeweiligen Reifendimension. Das komplexe dynamische Zusammenspiel zwischen Reifen und Fahrzeug spielt für die EU hierbei allerdings keine maßgebliche Rolle und fällt nach Ansicht der Kommission in den Bereich der Herstellerverantwortung. Die Reifendimension selbst muss aber nach wie vor genehmigt werden. Die europäische Betriebserlaubnis feierte in diesem Jahr bereits ihr 25-jähriges Jubiläum.

 

Bei Fahrzeugen mit einer nationalen / deutschen Betriebserlaubnis (ABE/EBE) sieht die Rechtslage hingegen anders aus. Fahrzeuge mit einer ABE/EBE konnten in Deutschland dank einer Übergangsregelung teilweise noch bis Ende 2002 zugelassen werden. Die nationale Typprüfung sah im Gegensatz zur EU noch keine verbindliche Überprüfung der Reifenfreigängigkeit vor. Deswegen konnte oder musste der Fahrzeughersteller ganz konkrete Reifenfabrikate mit bestimmten Abmessungen vorgeben.

 

Nicht immer basierte diese Vorgabe aber auf mangelndem freiem Bauraum. „Die Kombination von älterer Fahrwerk- und Reifentechnologien konnte schon recht dynamische Fahrzeugunruhen in Gang setzen.“, so Christoph Gatzweiler. „Wir gehen aber davon aus, dass sich das Fahrverhalten älterer Fahrzeuge in aller Regel mit modernen Reifen deutlich verbessert. Der jüngste Wegfall der einfachen Umrüstung über eine Unbedenklichkeitsbescheinigung war aber ein Rückfall in die Vorschriftenlage der 90er Jahre. Damals bedurfte jede Umbereifung eines Motorrads einer Abnahme mit einer entsprechenden Eintragung in die Fahrzeugpapiere oder einer ABE für die Reifen-Fahrzeugkombination.“

 

Dieser Aufwand ist nach einhelliger Ansicht aller Beteiligten aber nicht mehr zeitgemäß.

Die Fahrzeughersteller sprechen sich daher unter bestimmten Rahmenbedingungen, wie der Messung der Freigängigkeit der Reifen, dafür aus, dass bei Fahrzeugen mit einer nationalen ABE die Fabrikatsbindung aufgehoben werden darf. Allerdings kann dies, nicht zuletzt wegen der Vielzahl an Umbauten, immer nur eine Einzelfallbetrachtung sein. Das konkrete Fahrzeug muss hierzu nach Ansicht der Fahrzeughersteller stets bei einem technischen Dienst vorgeführt und begutachtet werden.

 

Wer in einem solchen Fall einen anderen Reifen fahren möchte, sollte möglichst frühzeitig Kontakt mit einer Prüfstelle aufnahmen, um eine mögliche Austragung der Fabrikatsbindung für sein Fahrzeug zu erörtern.

 

Ähnliches gilt für die Montage von Bereifungen mit abweichender Dimension oder Bauart. Eine entsprechende Bereifungsempfehlungen oder Herstellerbescheinigungen kann auch hier nicht länger als alleiniger Nachweis über eine gefährdungsfreie Umrüstung herangezogen werden.

 

Die Empfehlung, die Umbaumaßnahme und deren Abnahme vor dem Kauf der Reifen mit einer Prüfstelle abzuklären, gilt besonders auch für diese Fälle. Der Aufwand kann je nach Fahrzeug und Umbauwunsch höher sein. Sinnvoll ist es darüber hinaus, die Sachverständigen über alle bereits bestehenden Modifikationen an Fahrwerk, Rädern und reifenrelevanten Bauteilen, wie beispielsweise geänderten Radabdeckungen oder die Verwendung breiterer Antriebsketten, zu informieren. Denn bei einer Begutachtung wird der Gesamtzustand des Fahrzeugs die relevante Größe sein.

 

Die Verärgerung beim Endverbraucher und im Handel über diese juristische Neuauslegung ist durchaus nachvollziehbar, der einmalige Aufwand einer Begutachtung zur Austragung der Fabrikatsbindung oder zur Änderung der Reifendimension und -bauart, stellt aber aus Sicht des IVM einen gangbaren Kompromiss dar.